Leben · Brief an Georg Erdmann |
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Seinen Schulfreund Georg Erdmann kennt Johann Sebastian Bach seit ihrer gemeinsamen Zeit als Michaelis-Schüler in Lüneburg. Im folgenden Brief von 1730 berichtet Bach ihm über berufliche und private Neuigkeiten und beklagt sich über die Arbeitsbedingungen als Thomaskantor in Leipzig. Erdmann ist zu dieser Zeit kaiserlich-russischer Agent in Danzig.
Hoch Wohlgebohrner Herr.
Ew: Hochwohlgebohren werden einem alten treüen Diener bestens
excusieren, daß er sich die Freyheit nimmet Ihnen mit diesen zu
incommodiren. Es werden nunmehr fast 4 Jahre verfloßen seyn, da E:
Hochwohlgebohren auf mein an Ihnen abgelaßenes mit einer gütigen
Antwort mich beglückten; Wenn mich dann entsinne, daß Ihnen wegen
meiner Fatalitäten einige Nachricht zu geben, hochgeneigt verlanget
wurde, als soll solches hiermit gehorsamst erstattet werden. Von
Jugend auf sind Ihnen meine Fata bestens bewust, biß auf die mutation,
so mich als Capellmeister nach Cöthen zohe. Daselbst hatte einen
gnädigen und Music so wohl liebenden als kennenden Fürsten; bey
welchem auch vermeinete meine Lebenszeit zu beschließen. Es muste sich
aber fügen, daß erwehnter Serenißimus sich mit einer Berenburgischen
Princeßin vermählete, da es denn das Ansehen gewinnen wolte, als ob
die musicalische Inclination bey besagtem Fürsten in etwas laulicht
werden wolte, zumahln da die neüe Fürstin schiene eine amusa zu seyn:
so fügte es Gott, daß zu hiesigem Directore Musices u. Cantore an der
ThomasSchule vociret wurde. Ob es mir nun zwar anfänglich gar nicht
anständig seyn wolte, aus einem Capellmeister ein Cantor zu werden,
weßwegen auch meine resolution auf ein vierthel Jahr trainirete,
jedoch wurde mir diese station dermaßen favorable beschrieben, daß
endlich (zumahln da meine Söhne denen studiis zu incliniren schienen)
es in des Höchsten Nahmen wagete, u mich nacher Leipzig begabe, meine
Probe ablegete, u so dann die mutation vornahme. Hieselbst bin nun
nach Gottes Willen annoch beständig. Da aber nun
(1) finde, daß dieser Dienst bey weitem nicht so erklecklich als mann
mir Ihn beschrieben,
(2) viele accidentia dieser station entgangen,
(3) ein sehr theürer Orth u
(4) eine wunderliche un der Music wenig ergebene Obrigkeit ist, mithin
fast in stetem Verdruß, Neid und Verfolgung leben muß, als werde
genöthiget werden mit des Höchsten Beystand meine Fortun anderweitig
zu suchen.
Solten Eu: Hochwohlgebohren vor einen alten treüen Diener
dasiges Ohrtes eine convenable station wißen oder finden, so ersuche
gantz gehorsamst vor mich eine hochgeneigte reccomendation einzulegen;
an mir soll es nicht manquiren, daß dem hochgeneigten Vorspruch und
interceßion einige satisfaction zu geben, mich bestens beflißen seyn
werde. Meine itzige station belaufet sich etwa auf 700 rthl., und wenn
es etwas mehrere, als ordinairement, Leichen gibt, so steigen auch
nach proportion die accidentia; ist aber eine gesunde Lufft, so fallen
hingegen auch solche, wie denn voriges Jahr an ordinairen Leichen
accidentia über 100 rthl. Einbuße gehabt. In Thüringen kan ich mit 400
rthl. weiter kommen als hiesiges Ohrtes mit noch einmahl sovielen
hunderten, wegen der exceßiven kostbahren Lebensarth. Nunmehro muß
doch auch mit noch wenigen von meinem häuslichen Zustande etwas
erwehnen. Ich bin zum 2ten Mahl verheurathet und ist meine erstere
Frau seelig in Cöthen gestorben. Aus ersterer Ehe sind am Leben 3
Söhne u eine Tochter, wie solche Eu. Hochwohlgebohren annoch in Weimar
gesehen zu haben, sich hochgeneigt erinnern werden. Aus 2ter Ehe sind
am Leben 1 Sohn u 2 Töchter. Mein ältester Sohn ist ein Studiosus
Juris, die andern beyden frequentiren noch, einer primam der andere
2dam Classem, u die älteste Tochter ist auch noch unverheurathet. Die
Kinder anderer Ehe sind noch klein, u der Knabe als erstgebohrener 6
Jahre alt. Insgesamt aber sind sie gebohrne Musici, u kann versichern,
daß schon ein Concert Vocaliter u Instrumentaliter mit meiner Familie
fomiren kan, zumahln da meine itzige Frau gar einen sauberen Soprano
singet, auch meine älteste Tochter nicht schlimm einschläget. Ich
überschreite fast das Maaß der Höflichkeit wenn Eu: Hochwohlgebohren
mit mehreren incommodire, derowegen eile zum Schluß mit allem
ergebensten respect zeit Lebens verharrend.
Eu: Hochwohlgebohren
ganz gehorsamst-ergebenster Diener
Joh: Sebast: Bach.
Leipzig. den 28. Octobr. 1730
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