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Leben · Arnstadt

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Die Residenzstadt Arnstadt - im Jahr 704 zum ersten Mal als Arnestati erwähnt und damit der älteste Ort Mitteldeutschlands - ist 1703 bereits fast 1000 Jahre alt. Die Handelsstraße, an der die kleine Stadt liegt, schwemmt Geld an und sorgt für ein blühendes Gewerbe und wohlhabende Handwerker - Tuchmacher, Gerber und Bierbrauer. Im Osten der Stadtmauern fließt der kleine Fluß Gera, der auch die 1585 gegründete Papiermühle mit der nötigen Kraft versorgt.

Die Silhouette des südwestlich von Erfurt gelegenen Ortes wird von der Oberkirche im Süden, den ungleichen Türmen der im 13. Jahrhundert errichteten Liebfrauenkirche im Westen und der Neuen Kirche im Stadtzentrum bestimmt. Am nordöstlichen Stadtrand ragt das prunkvolle Renaissanceschloss Neideck, in dem Anton Günther II. residiert, über die Dächer des etwa 3000 Einwohner zählenden Ortes. Das Zentrum Arnstadts und mit ihm die am Markt gelegene Kirche wurden im Jahr 1581 durch einen Stadtbrand völlig zerstört. Noch im gleichen Jahr erhielt die Ruine den Namen Bonifatiuskirche. Zwischen 1676 und 1683 wird sie wieder errichtet und von nun an Neue Kirche genannt. Nach der Einweihung muss die Gemeinde noch 18 Jahre auf die Installation einer Orgel warten. Erst 1701 beginnt der Bau der von Johann Sebastian Bach abgenommenen Wenderschen Orgel.

Signum Schon als junger Musiker genießt Johann Sebastian Bach in Arnstadt hohes Ansehen. Nachdem er beim Vorspielen einen ausgezeichneten Eindruck hinterlassen hat, wird ihm für die Organistenstelle in der Neuen Kirche ein ungewöhnlich hohes Gehalt von 84 Gulden und 4 Groschen pro Jahr angeboten. Dies ist mehr als sein Nachfolger (Cousin Johann Ernst Bach: 40 Gulden und 1 1/2 Maß Korn) erhalten wird. Der Name Bach hat in Arnstadt überhaupt einen guten Ruf, bereits seit 1620 begleiteten mit Caspar Bach, einem Bruder Veit Bachs Angehörige der Familie musikalische Ämter und stellten sich als Organisten, Stadt- und Hofmusiker in den Dienst der Stadt. Ende 1703 zieht Johann Sebastian Bach von Weimar in die Kohlgasse 7, seine neue Wirkungsstätte. Seine Pflichten sind in seinem Arbeitsvertrag nachzulesen.

Spieltisch der
Wenderschen Orgel

Organistenbestallung Arnstadt, 9.8.1703

Demnach der hochgebohrne Unser Gnädigster Graff und Herr Herr Anthon Günther, der vier Graffen des Reiches Graff zu Schwarzburg und Hohnstein, Herr zu Arnstadt, Sondershaußen Leütenberg, Lohra und Clettenberg, Euch Johann Sebastian Bachen zu einem Organisten in der Neüen Kirchen annehmen und bestellen laßen, Alß sollet Höchstgedacht Ihr treü, Hold und gewärtig seyn, insonderheit aber Euch in Eürem anbefohlnen Ambte, Beruff, Kunstübung und Wißenschafft fleißig und treülich bezeigen in andere Händel und verrichtungen Euch nicht mengen, zu rechter Zeit an denen Sonn- und Fest- auch andern zum öffentlichen Gottes dienst bestimbten Tagen in obbesagter Neüen Kirchen bey dem Eüch anvertrauten Orgelwercke Euch einfinden, solches gebührend tractiren, darauff gute Acht haben, und es mit allem Fleiß verwahren, da etwas daran wandelbar würde es bey Zeiten melden und daß nöthige reparatur beschehe, Erinnerung thun, Niemanden ohne vorbewust des Herrn Superintendenten auf selbiges laßen und insgemein Euch bester Möglichkeit nach angelegen seyn laßen, damit Schaden verhütet, und alles in guten weßen und Ordnung erhalten werde, gestalt Ihr Euch denn auch sonsten in Eurem Leben und wandel der Gottesfurcht, Nüchterkeit und verträglichkeit zubefleißigen, böser Gesellschafft und Abhaltung Eures beruffs Euch gäntzlich zu erhalten, und übrigens in allen, wie einem Ehrliebenden Diener und Organisten gegen Gott, die Hohe Obrigkeit und vorgesetzten, gebühret, treulich zuverhalten.

Als Organist in Arnstadt hat Johann Sebastian Bach zum ersten Mal in seinem Leben Zeit zur eigenen Verfügung. Lediglich zu den diversen Gottesdiensten (Hauptgottesdienst an Sonn- und Feiertagen, Betstunde am Montag, Abendgottesdienst am Mittwoch und Frühgottesdienst am Donnerstag) muss er erscheinen und die Orgel spielen. Die übrige Zeit nutzt Johann Sebastian Bach zum üben und improvisieren. Und er beginnt zu komponieren. Seine ersten Werke entstehen:

In Arnstadt entstandene Werke:

Neue Kirche in
Arnstadt Im Gegensatz zum norddeutschen Lüneburg ist in Mitteldeutschland die Kunst der mehrstimmigen Kirchenmusik noch nicht weit verbreitet. Die Figuralmusik wird von der Kirche als zu weltlich und dem Gottesdienst unangemessen angesehen, außerdem sind die meisten Sänger die komplizierte Harmonik nicht gewohnt. Aber genau diese Art Musik hat es Johann Sebastian Bach angetan und er beginnt damit, Schüler des Arnstädter Gymnasiums zu unterrichten, und übernimmt damit quasi die Aufgaben eines Schulkantors. Zunächst wird sein freiwilliger Einsatz belohnt, denn Kirchenrat und Gemeinde sind mit der neuen Chormusik sehr zufrieden und auch die Schüler, welche zum Teil kaum jünger als der 20jährige Chorleiter, finden Spaß am Gesang. Aber schon nach etwa einem Jahr kommt es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen Bach und seinem Chor. Seine Gründlichkeit und sein Perfektionismus stoßen auf wenig Gegenliebe und überfordern die Sänger. Höhepunkt der Auseinandersetzung ist die folgende, bedrohliche Episode, die sich am 4. August 1705 ereignet haben soll.

Überliefert ist, dass sechs Primaner Bach im Dunkeln auflauern und ihn mit Knüppeln bedrohen. Ihr Anführer Geyersbach möchte sich für das Schimpfwort "Zippelfagottist" rächen, das der unzufriedene Chorleiter dem Störenfried verpasst hatte. Bach läßt sich nicht einschüchtern, zückt den zu seiner Hoftracht gehörigen Degen und geht auf die Meute los. Die Sache geht glimpflich aus, die Schüler fliehen und Bach erstattet Anzeige. Am Ausgang des Verfahrens sieht man, wie viel Einfluß die reichen Eltern der Schüler hatten. Geyersbach wurde nicht der Schule verwiesen oder ins Gefängnis gesperrt sondern bekam lediglich einen einfachen Verweis "seine künftige Laufbahn nicht zu gefährden". Bach wurde angewiesen "die musikalische Unterweisung der Gymnasiasten in gemäßigter Form wieder aufzunehmen". Ein mittelmäßiger Unterricht wird also von ihm gefordert - Mittelmaß! Von jemanden, der die Musik um der Musik willen macht.

Ausflug in den Norden

Im Spätherbst 1705 reist Johann Sebastian Bach nach Lübeck, um den norddeutschen Komponisten Dietrich Buxtehude zu treffen und von ihm zu lernen. Dafür erhält er beim Kirchenrat vier Wochen Urlaub. Doch Bach kehrt nicht nach einem Monat nach Arnstadt zurück, sondern erst nach drei. Zwar hatte er für eine Vertretung für seine Organistenstelle gesorgt, doch Streitereien mit seinem Arbeitgeber waren mit dieser dreisten Tat vorprogrammiert. Hinzu kommt, dass er auch wegen seines Orgelspiels in der Kritik steht:

Akte Joh. Sebastian Bachen Organisten in der Neuen Kirche betr. Wegen langwierigen verreißens vnd unterlaßener Figural music, den 21. Febr. 1706

Wird der Organist in der Neuen Kirchen Bach vernommen, wo er unlängst so lange geweßen, und bey wem er deßen verlaub genommen?

Ille: Er sey zu Lübeck geweßen umb daselbst ein und anderes in seiner Kunst zu begreifen, habe aber zuvor von dem Herrn Superintend verlaubnüß gebethen.

Dn Superint.: Er habe nur 4. Wochen solche gebethen, sey aber wohl 4. mahl so lange außengeblieben.

Ille: Hoffe das orgelschlagen würde unterdeßen von deme, welchen er hiezu bestellet, dergestalt seyn versehen worden, daß daßwegen keine Klage geführet werden können.

Nos: Halthen Ihm vor daß er bißher in dem Choral viele wunderliche variationes gemachet, viele frembde Thone mit eingemischet, daß die Gemeinde darüber confundiret worden. Er habe ins künfftige wann er ja einen tonum peregrinum mit einbringen wolte, selbingen auch außzuhalthen, und nicht zu geschwinde auf etwas anderen zu fallen, oder wie er bißher im brauch gehabt, gar einen Tonum contrarium zu spiehlen. Nechst deme sey gar befrembdlich, daß bißher gar nichts musiciret worden, deßen Ursach er geweßen, weiln mit den Schühlern er sich nicht comportiren wollen, Dahero er sich zu erclären, Ob er so wohl Figural alß Choral mit den Schühlern spielen wolle? Dann man ihm keinen Capellmeister halthen könne. Da ers nicht thuen wolte, solle ers nur categorice von sich sagen, damit andere gestalt gemachet und iemand der dießes thäte, bestellet werden könne.

Ille: Würde man, ihm einen rechtschaffenen Director schaffen, solte er schon spiehlen.

Bach wird also vorgeworfen, zu oft die Tonart zu wechseln, dissonante Begleitakkorde zu spielen und mit ungewöhnlichen Tönen die Gemeinde zu verwirren. Hinzu kommen weitere Anschuldigungen, er habe eine "frembde Jungfer" - vermutlich seine spätere Ehefrau Maria Barbara - auf die Empore geführt. Außerdem ist die Gemeinde mit der Dauer seines Orgelspiels nicht einverstanden. Nachdem er wegen zu langer musikalischer Untermalung gerügt wird, verfällt er trotzig ins andere Extrem und spielt nur noch extrem kurz.

Obwohl die Zeit in Arnstadt erfolgsversprechend begann, wird Johann Sebastian Bach im Laufe der drei Jahre wohl klar, dass es Zeit für einen Wechsel ist. Als am 2. Dezember 1706 der Organist Johann Georg Ahle stirbt und sich dadurch eine Stelle in Mühlhausen öffnet, zögert er nicht lang, ergreift diese Gelegenheit und zieht aus Arnstadt weg.

Windrose Organist von Divi-Blasii
1707-1708 · Mühlhausen: Heirat und erste Vokalmeisterwerke