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Leben · Leipzig · 1730-1740

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Signum Nach all diesen Streitigkeiten und sieben Jahren geduldigen Wartens glaubt Bach scheinbar nicht mehr an eine Verbesserung seiner Situation. Er möchte aus Leipzig weg! So wenig Anerkennung wurde ihm noch bei keiner seiner bisherigen Stellen entgegengebracht. Am 28. Oktober 1730 schreibt er einen langen Brief an seinen alten Schulfreund Georg Erdmann, in dem er sich nach einem freien Arbeitsplatz erkundigt. Trotz Bachs formaler Sprache liest sich der Brief wie ein Hilferuf. Also wohin gehen? Für einen evangelischen Kirchenmusiker gibt es in Deutschland nicht besonders viele lukrative Stellen. Doch wie so oft in Bachs Leben kommt auch diesmal zur rechten Zeit Hilfe.

Im Juli 1730 erhält die Thomasschule einen neuen Rektor. Der alte Schulleiter Johann Heinrich Ernesti war im Oktober des letzten Jahres gestorben. In den sieben Jahren, die Bach unter ihm diente, war er seinem Kantor keine große Hilfe. Weder das marode Schulgebäude noch der veraltete Lehrplan werden in dieser Zeit modernisiert. Der Rektor kümmert sich vermutlich lieber um seine Arbeit als Universitätsprofessor für Poesie. Zu seinem Begräbnis am 20. Oktober 1729 führt Bach die Motette "Der Geist hilft unser Schwachheit auf" (BWV 226) auf.

Paulinum Der neue Rektor Johann Matthias Gesner, ein Pädagoge und klassischer Philologe, war bis 1728 als Konrektor am Gymnasium in Weimar tätig, wo er Bach und seine Musik bereits kennen und schätzen gelernt hatte. Das Klima zwischen dem Thomaskantor und seinem als geselligen und liebenswürdigen Menschen beschriebenem Vorgesetzten ist gut - und was noch wichtiger ist, Gesner sorgt sich um seine Thomasschule. In den Jahren 1731 und 1732 wird das Gebäude endlich renoviert, die gefährlichen Treppen mit Geländern ausgestattet und auch die Wohnung des Kantors, in der Bach bis dahin fünf Kinder gestorben waren, wird von Grund auf in Stand gesetzt. Gesner räumt auch den Lehrplan auf und macht die Thomasschule zu einer der fortschrittlichsten Einrichtungen des Landes. Ab sofort werden Mathematik und naturwissenschaftliche Fächer gelehrt. Das Zeitalter der Aufklärung treibt seine ersten zarten Knospen.

Gesner sorgt dafür, dass der Kantor von seiner Verpflichtung entbunden wird, Latein zu unterrichten. Damit spart Bach die 50 Taler für die Vertretung. Um den Rat nicht länger mit den musikalischen Umtrieben seines aufsässigen Thomaskantors zu belasten, wird dieser in allen Belangen direkt dem Rektor unterstellt. Bach kann sich endlich auf seine Musik konzentrieren.

Collegium Musicum

Im März 1729 übernimmt Bach das von Telemann gegründete Collegium Musicum, einem studentischen Ensemble, mit dem er deutsche und italienische Vokal- und Instrumentalstücke aufführt. Die Musiker treffen sich zur Probe

auf dem Zimmermannischen Caffe-Hauß ausser der Messe einmahl, in der Cather-Strasse Freytags Abends von 8 biß 10 Uhr, in der Messe aber die Woche zweymahl, Dienstags und Freytags zu eben der Zeit.

Das musikliebende Leipziger Publikum kommt zu den regelmäßigen Konzerten und lässt sich unterhalten, aber auch die wöchentlichen Proben haben ihr Stammpublikum. 1734 hat das studentische Orchester die große Ehre, vor dem Kurfürsten höchstpersönlich zu spielen. Unter den zwischen 1730 und 1740 entstandenen Werken findet man wieder unzählige kirchliche, aber auch für das Collegium Musicum komponierte weltliche Kantaten, die von Bach mit "Dramma per musica" überschrieben sind: Laute

In Leipzig zwischen 1730 und 1739 entstandene Werke:

Der Thomaskantor ist immer noch viel unterwegs. Am 14. September 1731 trifft man den großen Meister in Dresden, wo er in der Sophienkirche ein zweistündiges Orgelkonzert gibt. Ein Jahr später, am 28. September 1732 spielt er auf Einladung des Erbprinzen in der Martinskirche in Kassel. Und Ostern 1734 oder 1735 kann man Bach in der Agnuskirche in Köthen zuhören.

Königlicher Hofkompositeur

Im Jahr 1733 bewirbt Bach sich beim frisch gekrönten August III., König von Polen und Kurfürst von Sachsen um den Titel eines Hofkomponisten.

Ich habe einige Jahre und bis daher bey denen beyden Haupt-Kirchen in Leipzig das Directorium in der Music gehabt, darbey aber ein und andere Bekränckung unverschuldeterweise auch jezuweilen eine Verminderung derer mit dieser Function verknüpfften Accidentien empfinden müssen, welches aber gänzlich nachbleiben möchte, daferne Ew. Königliche Hoheit mir die Gnade erweisen und ein Praedicat von Dero Hoff-Capelle conferiren, und deswegen zu Ertheilung eines Decrets, gehörigen Orths hohen Befehl ergehen laßen würden; Solche gnädigste Gewehrung meines demüthigsten Bittens wird mich zu unendlicher Verehrung verbinden und ich offerire mich in schuldigsten Gehorsam, iedesmahl auf Ew. Königlichen Hoheit gnädigstes Verlangen, in Componirung der Kirchen Musique sowohl als zum Orchestre meinen unermüdlichen Fließ zu erweisen, und meine ganzen Kräffte zu Dero Dienste zu widmen, in unauffhörlicher Treue verharrend

Ew. Königlichen Hoheit
unterthänigst-gehorsamster Knecht
Johann Sebastian Bach.

Dreßden
den 27. Julij
1733

J. S. Bach - Meiniger
Pastell Doch der Bittsteller muss sich noch eine Weile gedulden. Aus Dresden erhält er in diesem Jahr keine Antwort. Am 29. September 1737 erneuert er sein Gesuch in einem zweiten Brief, während der König gerade in Leipzig weilt. Und dann, tatsächlich, am 21. November wird ihm aus der Pleißenburg, dem Amtssitz des Gouverneurs die lange ersehnte Urkunde zugestellt. Das vom Grafen Brühl unterzeichnete "Praedicat als Compositeur bey der Hof Capelle", ist mehr als nur eitler Schmuck. Als königlicher Komponist gilt Bach ab sofort als Hofperson und steht unter dem persönlichen Schutz Seiner Majestät. Der treue Untertan bedankt sich mit einem großartigen Orgelkonzert in der Dresdner Frauenkirche.

Der Präfektenstreit

Die Zeit unter Gesner ist die glücklichste, die Bach in Leipzig haben wird. Doch schon 1735, nicht einmal vier Jahre nach seinem Antritt, zieht der Rektor weg nach Göttingen, als Professor im diplomatischen Rang. Hier in Leipzig interessierte er sich nämlich auch für ein Lehramt an der Hochschule, was dem Rat nicht passte. Als Gesner daraufhin sogar bereit ist, für die Professur sein Rektorenamt aufzugeben, interveniert die Universitätsleitung, da er "ein zu enger Freund des Rates sei".

Nachfolger von Gesner wird Konrektor Johann August Ernesti, mit seinem Vorvorgänger nicht verwandt, ein Leipziger, dazu ehrgeizig und kühl. Über seine Universitätsvorträge äußert sich ein Zeitgenosse eher verhalten: "Kürze und Deutlichkeit empfahlen dieselben, Lebendigkeit zeichneten sie nicht aus". Mit seinem Kantor scheint der neue Rektor nicht gut zurecht zu kommen. Bach ist bei den Schülern beliebt, und das passt dem nüchternen Schulleiter nicht. Wer beim Kantor den Musikunterricht besucht, wird von Ernestis Schulstunden ausgeschlossen.

Ein handfester Streit entzündet sich Anfang Juli 1736, als Bachs Generalpräfekt, Gottlieb Theodor Krause bei einer Hochzeitsmesse einem vorlauten Chorschüler die Hose stramm zieht. Der Störenfried, Sohn des Freiberger Bergakzisedirektor Kastner beschwert sich sogleich beim Rektor. Und Ernesti hat damit endlich eine Möglichkeit, seinem Kantor zu zeigen, wer der Herr im Hause ist. Krause muss sich entschuldigen und wird zu Stockschlägen vor versammelter Thomasschule verurteilt. Obwohl körperliche Züchtigungen im 18. Jahrhundert durchaus üblich sind, hat Ernesti ein außergewöhnlich hohes Strafmaß verhängt. Krauses Ehre wäre nach der öffentlichen Demütigung für alle Zeit verloren. Krause wählt die Flucht. Bachs größte Stütze verschwindet in der Nacht aus der Thomasschule.

Daraufhin setzt der Rektor eigenmächtig einen anderen Krause als Nachfolger ein: Johann Gottlob Krause. Der neue Präfekt erweist sich jedoch als faul, unfähig und ist überhaupt nicht interessiert, mit seinen Schülern das Singen zu üben. Bach ist am Zug. Er erklärt dem neuen Krause, dass alleine er, der Kantor, für die Einstellung der Präfekten zuständig ist und ersetzt ihn durch seinen zweiten Präfekten Kittler. Krause ruft die Herren Ernesti und Deyling zu Hilfe, und diese machen Bachs Rauswurf wieder rückgängig. In den folgenden Wochen kommen die Chorproben fast zum Erliegen, da Bach sich aus gutem Grund weigert, Krause dirigieren zu lassen und von den übrigen Schülern keiner wagt, das Präfektenamt zu übernehmen. Bach verfasst mehrere Briefe an den Rat, in denen er sich über den selbstherrlichen Eingriff seines Rektors beschwert - doch der ignoriert die Eingaben einfach.

In Leipzig zwischen 1730 und 1739 geborene Kinder:
Christiana Benedicta* 01.01.1730† 04.01.1730 (Leipzig)
Christiana Dorothea* 18.03.1731† 31.08.1732 (Leipzig)
Johann Christoph Friedrich* 21.06.1732† 26.01.1795 (Bückeburg)
Johann August Abraham* 05.11.1733† 06.11.1733 (Leipzig)
Johann Christian* 05.09.1735† 01.01.1782 (London)
Johanna Carolina* 30.10.1737† 18.08.1781 (Leipzig)
Regina Susanna* 22.02.1742† 14.12.1809 (Leipzig)

Bach zieht sich daraufhin zunehmend aus der Thomasschule zurück. Er lässt für seine eigenen Kinder einen Hauslehrer kommen und ist nicht mehr bereit, die monatliche Aufsicht zu übernehmen. Als im Mai 1737 dann doch in der von Johann Adolph Scheibe verlegten Fachzeitung "Critischer Musicus" eine anonyme Kritik gegen Bachs Musikstil erscheint, gibt er die Leitung des Collegium Musicum auf und bleibt zu Hause bei Frau und Kindern. In den Jahren von 1730 bis 1742 werden im Hause Bach sieben Neugeborene das Licht der Welt erblicken, man kann ohne Übertreibung sagen, dass Anna Magdalena so gut wie ständig schwanger war.

Während die jüngsten Bachs noch in der Wohnung herumkrabbeln, haben sich die Kinder aus erster Ehe bereits zu jungen Erwachsenen entwickelt. Wilhelm Friedemann ist schon 23 Jahre alt und tritt in dieser Zeit seine erste Stelle an, als Organist in der Dresdner Sophienkirche. Der 20jährige Gottfried Bernhard kommt in Mühlhausen unter, ebenfalls als Organist.

Windrose 1723-1750 · Leipzig, Teil 3: Goldberg-Variationen, Kunst der Fuge und Musikalisches Opfer (1740-1750)